Uhren als präzise Waagen testen Naturgesetze
Veröffentlichung in Physical Review Letters
07.11.2014 – Physiker um Prof. Stephan Schiller, Ph.D., von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) schlagen eine Methode vor, wie mit weit höherer Präzision als bisher die Masse des Protons – eines fundamentalen Bausteins der Materie – gemessen werden kann. Die Forscher wollen dazu in Zukunft „Molekül-Uhren“ benutzen und damit auch bestimmen, ob die Protonenmasse zeitlich wirklich konstant ist. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie in der renommierten Zeitschrift Physical Review Letters.
Sind die Naturkonstanten wirklich konstant? Dies ist eine der fundamentalsten Fragen in der Physik, beeinflusst sie doch sowohl die Struktur der Materie als auch die Entstehung und Entwicklung des Universums. Zu diesen Konstanten zählt unter anderem die Masse der Protonen. Aus ihnen und den Neutronen setzen sich die Atomkerne zusammen. Nach heutigem Wissen bleiben die Massen von atomaren Teilchen im Laufe der Zeit unverändert, aber sind sie es wirklich? Ändern sie sich vielleicht doch geringfügig mit der ständigen Expansion des Weltalls?
Mit der Erforschung der elementaren Bausteine der Materie wie des Protons verbindet man häufig Großforschungsanlagen, Zentren mit kilometerlangen, immens teuren Beschleunigern wie dem CERN in Genf. Doch es mag auch anders gehen: Prof. Stephan Schiller vom Institut für Experimentalphysik der HHU hat mit Kollegen aus Bulgarien und Russland einen gänzlich anderen Ansatz entwickelt, um in Zukunft mit wesentlich höherer Präzision die Masse des Protons zu bestimmen und um damit zu untersuchen, ob sich diese zeitlich ändert. Die Wägung der Protonen wollen sie indirekt mittels einer Uhr durchführen.
Die Forscher schlagen zu diesem Zweck vor, „optische Moleküluhren“ zu benutzen. Bekannt sind die Atomuhren, die heute präzisesten Uhren auf der Welt. In ihnen können Elektronen zwischen unterschiedlichen Bewegungszuständen hin- und herschwingen. Die besten, sogenannten optischen Atomuhren haben einen Gangfehler von (hochgerechnet) lediglich einer Sekunde in 10 Milliarden Jahren! Atomuhren werden etwa als Taktgeber für Funkuhren eingesetzt, sie befinden sich aber auch an Bord der Satelliten der Satellitennavigationssysteme wie GPS und Galileo.
Moleküluhren wären zwar nicht einfacher zu realisieren als Atomuhren, und sie wären auch nicht genauer. Aber sie haben einen entscheidenden Vorteil: In einem Molekül können die enthaltenen Atome gegeneinander schwingen. Der Takt dieser Schwingungen ist umso langsamer, je schwerer die Atome sind. Bei einem Wasserstoffmolekül, das zwei Protonen als Kerne enthält, ist die Schwingungsfrequenz also von der Masse der Protonen abhängig. Eine präzise Bestimmung seiner Molekülschwingungsfrequenz entspricht damit einer Wägung der darin enthaltenen Protonen. Die Frequenz einer Atomuhr ist stattdessen vornehmlich von der Masse des Elektrons abhängig.
Prof. Schiller und seine Kollegen schlagen nun vor, eine Moleküluhr aus einem einzelnen ionisierten Wasserstoffmolekül zu bauen (H2+). Die Schwingungsperiode ließe sich mit der einer optischen Atomuhr vergleichen. Führt man solche Vergleichsmessungen in mehrjährigem Abstand aus, so kann man sehr empfindlich nachweisen, ob sich die Masse des Protons im Verhältnis zur Masse des Elektrons verändert oder nicht. Die Autoren haben berechnet, dass die Empfindlichkeit mehr als 10-mal höher sein könnte als bei alternativen Methoden.
Nähme man statt eines Moleküls H2+ ein Molekül HD+ oder D2+, bei denen eines oder beide Protonen durch ein Deuteron (D; ein Atomkern bestehend aus einem Proton und einem Neutron) ersetzt sind, so ließe sich analog auch die zeitliche Konstanz der Deuteronmasse überprüfen. Eine variable Protonen- oder Deuteronmasse hätte massive Auswirkungen auf viele fundamentale Theorien der Materie und der Astrophysik – sie wären nur näherungsweise korrekt. Die theoretischen Physiker stünden dann vor einer großen Herausforderung, vollständig korrekte Theorien zu schaffen.
Atomuhren
Atomuhren sind die genauesten Uhren der Welt, denn die Elektronenschwingungen in einem Atom verlaufen weitestgehend unbeeinflusst von der Umgebung. Mit Atomuhren auf der Basis von Cäsium wird die Referenzzeit festgelegt, nach der sich alle anderen Uhren, wie Bahnhofs- oder Armbanduhren richten. Durch solche Uhren wird auch die Zeiteinheit Sekunde definiert.
Wie jede Uhr, so benötigt auch eine Atomuhr einen Taktgeber. Bei Atomuhren ist dies die Schwingung eines Elektrons zwischen zwei Energie- (Bewegungs)zuständen in einem Atom. Der Energieunterschied zwischen den beiden Zuständen entspricht einer elektromagnetischen Strahlung einer bestimmten Frequenz. Bei einer Cäsium-Atomuhr liegt die Frequenz im Mikrowellenbereich (Giga-Hertz).
Bei einer Atom- oder Moleküluhr werden die Atome bzw. Moleküle durch ein elektromagnetisches Wechselfeld bestrahlt, dessen Frequenz verstellt werden kann. Wird sie genau gleich der Übergangsfrequenz zwischen den beiden Zuständen eingestellt, dann absorbieren die Atome bzw. Moleküle Energie aus dem Feld. Dass dies geschehen ist, kann präzise festgestellt werden. So wird die optimale Frequenz genau gefunden.
Die erreichbare Genauigkeit einer Atomuhr wird auch durch die Größe der Frequenz der benutzten elektromagnetischen Strahlung bestimmt. Die neuesten Atomuhren– so genannte optische Atomuhren – arbeiten deshalb mit Energiezuständen, deren Energiedifferenz im Bereich des sichtbaren Lichts liegen. Die zugehörigen Frequenzen liegen typischerweise 50.000-fach höher als die Mikrowellenfrequenzen. Man erreicht damit Genauigkeiten, die um einige Größenordnungen über denjenigen klassischer Cäsium-Atomuhren liegen.
Originalpublikation
S. Schiller, D. Bakalov, and V. I. Korobov, „Simplest Molecules as Candidates for Precise Optical Clocks”, Phys. Rev. Lett. 113, 023004, 8. Juli 2014
Online:
DOI: 10.1103/physrevlett.113.023004 (http://dx.doi.org/10.1103/physrevlett.113.023004)
Kontakt
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