Anhaltende Luftnot, Schmerzen, Gefühlsstörungen: Die Folgen von Covid-19

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Zwei Chefärzte der MEDICLIN Klinik Reichshof äußern sich im Interview zur Behandlung von Post-Covid-Patienten

 

Die Regelungen zur Eindämmung des Coronavirus wurden wieder verschärft – die Länderchefs und die Bundesregierung haben sich auf einen „Lockdown light“ verständigt. Doch warum das Ganze? ​Der Neurologe Dr. Jürgen Bonnert und der Pneumologe Dr. Matthias Schmalenbach sind Chefärzte an der MEDICLIN Klinik Reichshof und behandeln Patienten nach einer schwer verlaufenen Covid-Erkrankung. Im Interview berichten sie, welche gravierenden Langzeitfolgen sie bei Corona-Patienten beobachten, wie eine Post-Covid-Behandlung aussieht und ob sich Reha-Patienten in Zeiten von Corona in einer Klinik sicher fühlen können.

 

Herr Dr. Schmalenbach, Herr Dr. Bonnert, mit welcher Art von Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung haben Sie in der Klinik bereits Erfahrungen gemacht?

Schmalenbach: Viele Patienten, die zu uns kommen, haben wirklich einen sehr langen, sehr schweren Verlauf gehabt. Sie waren schwer betroffen und in intensivmedizinischer Behandlung. Wir sehen häufig Patienten, die unglaublich entkräftet sind und weiterhin unter Einschränkungen durch Luftnot leiden. Was sie limitiert, ist, dass sie nicht richtig tief durchatmen können. Das geht dann häufig mit einer allgemeinen Schwäche einher, also auch einer Einschränkung in der Bewegung. Oftmals kommen wirklich starke Schmerzen der Extremitäten und teilweise auch Gefühlsstörungen und Kraftminderungen dazu. Es gibt auch Fälle, in denen Extremitäten mitunter gar nicht mehr eingesetzt werden können, da auch das Nervensystem oder die Muskulatur mitbetroffen sind. Aber dazu kann Herr Dr. Bonnert mehr sagen.

Bonnert: Ich schaue mir die Patienten ja in erster Linie aus neurologischer Sicht an. Wir sehen in sehr vielen Fällen eine typische neurologische Langzeitintensivfolgeerkrankung, die Critical-Illness-Polyneuropathie (CIP) und –myopathie (CIM). Bei diesen Erkrankungen kommt es zu Gefühlsstörungen in den Extremitäten, typischerweise in den Füßen und Händen. Dazu kommt ein Taubheitsgefühl und manchmal auch schmerzhafte Missempfindungen: Kribbeln, Stechen, Brennen. Im Rahmen der Myopathie kommt es auch zu einer Schwäche der Muskulatur. Wir haben diese Störungen bei mindestens 50% aller bisher bei uns behandelten Patienten beobachtet. Außer diesen Krankheitsbildern sehen wir nachgeordnet auch zentrale neurologische Krankheitsbilder, diese werden als enzephalopathisches Syndrom bezeichnet. Die Betroffenen haben Störungen des Gedächtnisses, der Konzentration oder der Aufmerksamkeit. Relativ nachgeordnet, weil nicht so häufig, sind Riech- und Geschmacksstörungen zu betrachten, die ja auch als ein Frühsymptom von Covid gelten. Die finden wir bei maximal zehn Prozent unserer Patienten als langfristiges Symptom. Mittlerweile haben wir mindestens 60 Post-Covid-Patienten bei uns im Haus behandelt. Die neurologischen Störungen konnten wir bei mehr als der Hälfte nachweisen, auch durch elektrophysiologische Messungen.

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Wo genau werden diese Patienten denn aufgenommen: Im neurologischen oder im pneumologischen Fachbereich?

Schmalenbach: Das kommt darauf an, welche Folgeschäden im Vordergrund stehen und den Patienten am meisten belasten. Kurz erklärt: Die Lungenschäden sind das, was die Schwere dieser Erkrankung überhaupt erst ausmacht – wir alle kennen mittlerweile diese Bilder mit sich beidseitig entwickelnden Pneumonien. Diese behandeln wir in der pneumologischen Reha. Aber aufgrund der Schwere der Erkrankung gibt es eben oft auch ein mitbetroffenes Nervensystem und da können wir dann von neurologischer Seite auch Hilfe anbieten. Deswegen haben wir schon frühzeitig begonnen, uns gemeinsam um diese Patienten zu kümmern. Immer wenn ein Patient nach schwerer Covid-Erkrankung zu uns kam, haben wir uns gemeinsam verantwortlich gefühlt – egal in welche Fachrichtung er zur Aufnahme gekommen ist. Dadurch, dass wir die Therapien untereinander abstimmen, sind wir medizinisch sehr breit aufgestellt, um den Menschen bestmöglich helfen zu können. Das ist uns sehr wichtig.

Bonnert: Die Patienten sind im Schwerpunkt lungenkrank mit internistischen Folgeerkrankungen, haben aber häufig auch neurologische Störungen. Auch seelische Folgestörungen werden bei uns in Form von Einzel- und Gruppenangeboten durch psychologische Fachkräfte mitbehandelt. Das möchte ich hier nur ganz am Rande streifen, das wird dann noch verstärkt ein Thema werden, wenn wir nächstes Jahr eine psychosomatische Fachabteilung in unserem Haus ergänzen. Das rundet unser Leistungsspektrum aus meiner Sicht dann perfekt ab.

 

Ganz laienhaft gefragt: Diese ganzen Langzeitfolgen, von denen Sie bisher gesprochen haben, sind das typische Folgen einer Langzeitbeatmung oder kann man da tatsächlich von typischen Covid-Folgeerkrankungen sprechen?

Bonnert: Viele der Auswirkungen sehen wir auch bei anderen Patienten mit Langzeit-Intensivaufenthalten - gerade die CIP und CIM. Die zentralen Störungen der Konzentration, des Gedächtnisses und der Merkfähigkeit kommen ebenfalls bei anderen Langzeitintensiv- und Langzeitbeatmungsaufenthalten vor. Deshalb finde ich die Frage sehr berechtigt. In der Zusammensetzung der Symptome können wir das noch nicht abschließend auswerten – es scheint aber bei den Post-Covid-Patienten eine höhere Quote der Polyneuropathie (PNP) zu geben. Es wird sich erst noch zeigen, ob das die Post-Covid-Gruppe deutlich von anderen Patienten unterscheidet.

Schmalenbach: Sehe ich genauso. Wir haben ja auch eine Weaning-Station bei uns im Haus, auf der Patienten von der Langzeitbeatmung entwöhnt werden. Deshalb sind wir natürlich auf Patienten, die genau dieses Krankheitsbild mitbringen, spezialisiert: Auf beatmungspflichtige Patienten, auf die primäre schwere Erkrankung, die die Beatmung ausgelöst hat und auf die Folgeerscheinungen. Ich finde diese Frage sehr gut, da mir selbst noch nicht klar ist, ob die Krankheitsschwere oder die Krankheitsursache diese hohe Anzahl an neurologischen Folgeerkrankungen verursacht.

 

Wie sieht denn konkret so eine Therapie bei Post-Covid-Syndrom aus? Was umfasst die Behandlung?

Schmalenbach: Unser Ansatz ist eine ganzheitliche Therapie. In der pneumologischen Behandlung sind das Training der Atemhilfsmuskulatur und insgesamt die Kräftigung wichtig: Atemtechniken, Atemmechanik. Das steht im Vordergrund. Bei der Diagnostik liegt der Schwerpunkt auf der Frage, wie stark die Lungenfunktion eingeschränkt ist. Mit Lungenfunktionsuntersuchungen testen wir das nicht nur bei Aufnahme, sondern auch im Verlauf der Reha – um dokumentieren zu können, ob und wann sich eine Besserung abzeichnet. Belastungstests gehören auch dazu und gegebenenfalls die Einleitung einer Sauerstoff-Langzeittherapie. Das ist übrigens auch ein Plus unserer Fachklinik: Wir sind es gewohnt, mit Sauerstoffpflichtigkeit bei Patienten umzugehen, wir haben größtenteils Betten mit Sauerstoffanschluss.

Bonnert: Aus neurologischer Sicht ist zu ergänzen: Wenn die Patienten eine schmerzhafte PNP aufweisen, dann wird diese auch klassisch medikamentös-schmerztherapeutisch mitbehandelt, also durch Tabletten oder Pflaster. Wichtig ist dann eine Kombination aus Muskelaufbau, Elektrostimulation, Bädertherapie und thermischer Stimulation (also Kalt-Warm-Reize). Wenn schwerere Beeinträchtigungen vorliegen, müssen natürlich auch ergotherapeutische Anwendungen ergänzt werden. Physiotherapie gehört ohnehin mit dazu. Es geht also darum, Kraft und Sensibilität aufzubauen. Wenn zentrale Symptome auftauchen, die die Konzentration, das Gedächtnis oder die Aufmerksamkeit beeinträchtigen, dann trainieren wir computergestützt auch speziell diese Störung.

Schmalenbach: Natürlich gehört bei diesen Patienten auch dazu, dass nach einer schwer verlaufenden Erkrankung sehr viele Ängste bestehen. Da ist auch eine Re-Orientierung im Leben wichtig – mithilfe von Ansätzen unserer psychologischen Fachkräfte. Wir haben auch entsprechend ausgebildete Mediziner vor Ort, die ggf. bei Bedarf auch medikamentös unterstützen können. Das rundet unser gesamtes Tun sinnvoll ab.

 

Treten diese psychischen Begleiterscheinungen, von denen Sie sprechen, häufig auf?

Bonnert: Aus meiner Sicht ja. Ich bin selbst auch Psychotherapeut und sehe gezielt die Patienten, die auch mit psychischen Folgestörungen vorgestellt werden. Das ist eine kleinere, aber definitiv eine relevante Gruppe. Ich würde grob schätzen, ein Viertel der Post-Covid-Patienten bei uns im Haus kämpfen mit relevanten psychischen Folgebeschwerden. Häufig sind das Anpassungsstörungen – Angst oder Depression. Diese Patienten müssen dann medikamentös, verhaltenstherapeutisch und gesprächstherapeutisch behandelt werden. Ob die Zahlen insgesamt nicht deutlich größer sind, kann ich nicht sagen. Wenn psychische Folgestörungen im Vordergrund stehen, gehen die Patienten eher gezielt in eine psychosomatische oder in eine psychiatrische Klinik.

Schmalenbach: Unabhängig von einem akuten Verlauf sind psychische Begleiterscheinungen bei Patienten, die unter Luftnot leiden, häufig: Erlebte Erstickungsanfälle produzieren Angst. Hier am Standort haben wir die Chance, das zu durchbrechen – denn das ist möglich. Das können wir nicht nur für Post-Covid-Patienten, sondern für alle Patienten vorhalten. Dadurch können wir Betroffenen wirklich sehr effektiv helfen.

 

Sehen Sie Ihre Klinik gut gerüstet für die Behandlung dieser Art von Erkrankungen?

Bonnert: Tatsächlich würde ich sogar sagen, dass wir prädestiniert dafür sind.

Schmalenbach: Da gebe ich dem Kollegen recht. Mittlerweile verbreitet sich ja das Wissen, dass diese Covid-Erkrankung nicht nur Schäden an der Lunge verursachen kann, sondern neurologische Folgeerkrankungen zu dieser schweren Pandemie dazu gehören – und wir können hier beides behandeln.

 

Zu welchem Zeitpunkt sollten Patienten eine Reha nach einer Corona-Erkrankung in Erwägung ziehen?

Bonnert: So früh wie möglich! Am besten sofort, nachdem der akutmedizinische Behandlungsbedarf abgeschlossen ist. Je früher wir spezifisch Symptome behandeln, die sich sonst chronifizieren könnten, desto größer ist unsere Aussicht, diese auch wirksam zu verbessern. Da wir auch eine neurologische Frühreha-Station haben, die für Patienten im Weaning geeignet ist, können wir selbst schwerst betroffene Patienten aufnehmen. Klassischerweise werden unsere Post-Covid-Patienten im AHB-Setting aufgenommen. Aber da würde ich definitiv sagen: Je früher, desto besser.

Schmalenbach: Wir haben uns zu Beginn der Pandemie als Reserveklinik aufgestellt und größeren Kliniken mit Intensivstationen mitgeteilt, dass wir auch schwerst betroffene Patienten als Direktverlegung bei uns aufnehmen können, um die Akutbereiche zu entlasten. Von diesem Angebot haben einige Kliniken Gebrauch gemacht. Nach dieser anfänglichen etwas unklaren Situation, konnten wir im späteren Verlauf darauf aufbauen und durch die bereits gute Zusammenarbeit weiterhin AHB-Patienten direkt aus den Akuthäusern übernehmen – und zusätzlich Patienten, die bereits nach Hause entlassen waren. Ich halte es  wie Dr. Bonnert: Je früher, desto besser. Aber auch bei Patienten, die erst später eine Einschränkung ihrer Lebensqualität spüren, macht eine Reha definitiv Sinn – also auch im Heilverfahren.

 

Noch eine letzte Frage zu einem etwas anderen Thema – Jetzt, da die Zahlen wieder steigen: Wie sicher kann ich mich denn momentan fühlen, wenn ich zur Reha in eine Klinik gehe?

Bonnert: Natürlich kann ich diese Frage nur sehr subjektiv beantworten. Aber ich denke die in einer Klinik sehr restriktiven Maßnahmen, insbesondere die Testung der Patienten bei Aufnahme und auch die eingeschränkten Besuchsregelungen sprechen für eine sichere Reha. Wir haben hier an unserem Standort bislang kein Ausbruchsgeschehen. Natürlich besteht aber ein Restrisiko – wie es die Patienten eben auch zu Hause haben, wenn sie zum Beispiel Besuch bekommen.

Schmalenbach: Wir sind uns des hohen Risikos bewusst, haben strikte Regelungen umgesetzt und sind mit unseren Maßnahmen bislang sehr gut durch diese Pandemie gekommen. Genau deshalb halten wir aber auch weiterhin an strengen Regeln fest und stoßen damit glücklicherweise weitgehend auf Verständnis. ​
 

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Dieses Interview führte Jelina Schulz

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Pressekontakt:
Jelina Schulz
MEDICLIN Unternehmenskommunikation
Okenstr. 27
77652 Offenburg
Telefon 0781 / 488-189
E-Mail: jelina.schulz@mediclin.de

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Über die MEDICLIN Klinik Reichshof
Die MEDICLIN Klinik Reichshof ist eine Einrichtung für die medizinische Rehabilitation sowie die neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation (inklusive Beatmung und Weaning) nach dem Krankenhausplan des Landes NRW. Sie verfügt über die Fachklinik für neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation sowie die Fachkliniken für Neurologie und Pneumologie. Die Einrichtung im Oberbergischen Land verfügt über 241 Betten und beschäftigt rund 280 Mitarbeiter.

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