Logopädin Lucia Ehret-Benz: Singen und Erzählen kann kleine Wunder vollbringen

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Musik- und Kommunikationstherapie haben große Bedeutung für geriatrische Patient*innen in MEDICLIN Schlüsselbad Klinik

 

Bad Peterstal, 02. September, 2021. Wer mit Lucia Ehret-Benz über ihren Beruf spricht, spürt sofort, wie leidenschaftlich die Logopädin für ihre Arbeit brennt. 23 Jahre lang war Ehret-Benz Kindergartenleiterin, bevor sie aus gesundheitlichen Gründen eine Umschulung zur Logopädin machte. So kam sie 2015 an die MEDICLIN Schlüsselbad Klinik in Bad Peterstal. Statt mit Kindergartenkindern, arbeitet sie nun überwiegend mit älteren Menschen in der Geriatrie. Im Interview erzählt sie, warum sie sich jeden Morgen schon beim Aufwachen auf ihre Arbeit freut.

Frau Ehret-Benz, wie würden Sie das Angebot für ältere Patient*innen in der Schlüsselbad Klinik beschreiben?

Lucia Ehret-Benz: Ich vergleiche unser Therapieangebot in der geriatrischen Reha gerne mit einem bunt schillernden Mosaik. Für ein vollständiges Bild braucht es jedes einzelne Mosaiksteinchen! Fehlt ein Teil - sei es in der Pflege, in der medizinischen Versorgung, im funktionell orientierten Therapiebereich, wie der Physiotherapie, der Ergotherapie, der Massage oder im teilhabeorientierten Bereich, wie der Logopädie, der Aktivierung und der Psychotherapie – ist da eine Lücke im Bild. Wir betrachten den Mensch als Ganzes, mit Körper, Geist und Seele.
Früher waren die Leitlinien für die geriatrische Reha vor allem funktional betont, mit teilweise etwas schematischen Vorgaben. Heute arbeiten wir zum Glück ganz anders. Wir orientieren uns stark am Patienten. Wir schauen das Lebensumfeld sehr genau an, orientieren uns an den individuellen Bedürfnissen und entwickeln entsprechende Ziele.
Diese Ziele können sehr verschieden aussehen. Sie hängen auch davon ab, ob jemand in das gewohnte Umfeld zurückkehren kann und möchte oder ob nach der Reha ein Wechsel in ein Pflegeheim ansteht. Dann geht es beispielsweise auch darum, Ängste zu nehmen. Bei einem Menschen, der vielleicht 70 Jahre am gleichen Ort gelebt hat, gilt es manchmal, regelrechte Trauerarbeit über diesen großen Einschnitt zu begleiten.

Sehen Sie sich mit Ihrer Arbeit als Logopädin eher dem funktionalen Bereich zugehörig oder eher der sozialen Teilhabe?

E.-B.: Eindeutig beiden! Es gibt in meiner Arbeit viele Ebenen. Mit Patient*innen, die etwa nach einem Schlaganfall zu uns kommen und an einer Aphasie [Störung der Sprache, wie Wortfindungsstörungen] oder Dysarthrie [Störung des Sprechens, bspw. Verwaschungen bei der Artikulation] leiden, arbeite ich in der Einzeltherapie natürlich an den funktionalen Aspekten des Sprechens. Aber auch hier geht es um eine Aktivierung, darum, den Menschen in seiner Kommunikation zu ermutigen, ihn wieder mit der Welt zu verbinden und die Teilhabe am Alltagsleben zu ermöglichen.

Sie leiten auch die Musik- und Kommunikationstherapie. Wie kommen die bei den Patient*innen an?

E.-B.: Unsere Musiktherapie muss derzeit leider noch ruhen. Das bedauere ich sehr. Das gemeinsame Singen bewegt so viel bei den Menschen! Die Patient*innen lieben diese gemeinsamen Stunden. Vor dem Lockdown konnten die Patient*innen an den Angeboten anderer Stationen teilnehmen, wenn sie das wollten.  Das wurde rege wahrgenommen. Manchmal waren wir beim Singen 20 oder 25 Leute und die Stühle wurden knapp!
Wenn dann noch ein paar erfahrene Chorsänger dabei waren, wurde es plötzlich mehrstimmig und wir haben die Stunde oft überzogen. Wenn nicht irgendwann das Abendessen gekommen wäre, hätten wir wahrscheinlich noch bis tief in die Nacht zusammen gesungen! Diese Momente fehlen mir zurzeit und ich habe mich sehr gefreut, als unser Chefarzt, Dr. Siegfried Wentz, uns mitteilte, dass es ab Oktober weitergehen darf. Natürlich mit allen erforderlichen Hygienemaßnahmen und in kleineren Gruppen. Ich kann es kaum erwarten, wieder gemeinsam zu singen!
Um diese musikalische Lücke in den letzten Monaten zu schließen, hatten wir dafür die  Kommunikationstherapie während des Lockdowns deutlich ausgeweitet.

Wie sah das aus?

E.-B.: Zuvor gab es die Kommunikationstherapie hauptsächlich für Patient*innen, die von den Folgen eines Schlaganfalls oder von beginnender Demenz betroffen waren. Nun haben wir das Angebot für alle Patient*innen der Geriatrie geöffnet.

 

Kommunikationstherapie wirkt befreiend und heilsam

Wie haben die Patient*innen das angenommen?

E.-B.: Mit einer überwältigenden Begeisterung! Diese Stunden sind regelrechte Seelennahrung für die Menschen geworden. Gerade durch die Isolation des Lockdowns war der Aspekt des sozialen Austausches viel zu kurz gekommen. Es gab keinen Stammtisch, keinen Verein, keinen Besuch von der Familie, wo man erzählen konnte, zusammen lachen und vielleicht auch einmal zusammen weinen. Ich habe deutlich gespürt, wie schmerzlich die Menschen das vermisst haben und wie sie in diesen Stunden regelrecht aufgeblüht sind.

Wie darf man sich so eine Stunde in Ihrer Kommunikationstherapie vorstellen?

E.-B.: Derzeit bestehen meine Gruppen aus maximal vier Teilnehmer*innen. Früher waren es gemischte Gruppen. Ich habe aber festgestellt, dass die Menschen noch schneller Vertrauen fassen und sich leichter öffnen können, wenn wir reine Frauengruppen und reine Männergruppen haben. Das erinnert ein bisschen an den vertrauten Stammtisch oder das Kaffeekränzchen.
Auf einem Tisch habe ich zuvor Bildkarten ausgelegt, die Erinnerungen auslösen sollen. Da gibt es Fotos von einem VW-Käfer, einem Waschzuber, vom Autokino, dem Zelturlaub auf dem Campingplatz oder einem wippenden Petticoat. Die Patient*innen stürzen sich beim Hereinkommen regelrecht auf diese Karten. Oft höre ich: Mir fällt zu allen Bildern so viel ein!
Sie entscheiden sich jedoch für zwei Karten - und dann erzählen wir.
Es ist unglaublich, was für Geschichten dabei zutage kommen! Wunderschöne, rührende oder lustige - und manchmal auch erschütternde... Die Menschen erzählen einander von einer unerfüllten Liebe, vom ersten Familienauto, vom Urlaub in Italien – aber bei dieser Generation sind es eben auch noch Erinnerungen an die Kindheit im Krieg.
Manche Menschen haben diese Erlebnisse ein Leben lang schweigend mit sich getragen. Wenn sie sich dann öffnen, erleben sie, dass da ein Gegenüber ist, das ihr Leid nachempfinden kann, jemand, der vielleicht ähnliche Erlebnisse mit sich trägt. Das ist oft eine große Entlastung.
So kann die Kommunikationstherapie viel bewirken: Sie schafft Verbindung, hilft bei der Verarbeitung. Das Teilen befreit. Die Menschen gehen emotional gestärkt aus diesen Stunden hervor.

Und das funktioniert bei allen?

E.-B.: Zumindest kann ich sagen, dass es bei ganz vielen eine tiefe Veränderung und Öffnung bringt. Erst kürzlich bekam ich folgende Rückmeldung: Ein Patient war fast schon erschrocken darüber, wie zwei Mitpatienten seiner Station in der Stunde vor Lebendigkeit und Geschichten geradezu übersprudelten.
Auf Station hatte er die beiden ganz anders kennengelernt: Den einen als extrem verschlossen, er grüßte nicht einmal. Den anderen hatte er als Griesgram erlebt, der an allem etwas auszusetzen hatte. Die Verwandlung der beiden konnte er kaum fassen. ‚Ihre Stunde verändert sogar die ruhigsten und schwierigsten Menschen‘, sagte er zu mir. Das zu hören, hat mir viel bedeutet.

Worauf freuen Sie sich besonders, wenn Sie auch die Musiktherapie wieder aufnehmen können?

E.-B.: Der gemeinsame Gesang hat in der Vergangenheit unvergessliche, gemeinsame Momente geschaffen. Wir haben eine Kooperation mit dem Kindergarten, die wir – sobald es sicher möglich ist – wieder aufnehmen und sogar noch erweitern möchten.
Eine Woche vor dem Lockdown haben wir noch ein gemeinsames Fest verwirklichen können: Mit Kindergartenkindern und Patient*innen haben wir zum 60. Geburtstag unseres Chefarztes Dr. Wentz ein Überraschungskonzert gegeben. Das hat allen Beteiligten so viel Freude bereitet.
So etwas wieder möglich zu machen, darauf freue ich mich. Ein volles Haus, ein Miteinander, das Freundschaften stiften kann, wo die Menschen auch über die Therapie hinaus zusammensitzen und sich austauschen. Das ist für mich lebendige Reha!

 

Das Gespräch mit Lucia Ehret-Benz führte Gerda Schwarz.

Pressekontakt:
Gerda Schwarz
MEDICLIN Unternehmenskommunikation
Okenstr. 27
77652 Offenburg
Telefon 0781 / 488-245
E-Mail: gerda.schwarz@mediclin.de

Über die MEDICLIN Schlüsselbad Klinik
Die MEDICLIN Schlüsselbad Klinik in Bad Peterstal-Griesbach vereint vier Fachdisziplinen unter einem Dach: die Orthopädie und Sportmedizin, die Rheumatologie, die Innere Medizin und die Geriatrische Rehabilitation. Zu der Einrichtung gehört außerdem ein ambulantes Therapiezentrum. Die Klinik verfügt über 147 Betten und beschäftigt rund 110 Mitarbeiter*innen. Chefarzt der Klinik ist Dr. Siegfried Wentz, ehemals Weltklasse-Zehnkämpfer und unter anderem Olympia-Dritter von 1984.

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Über MEDICLIN
Zu MEDICLIN gehören deutschlandweit 35 Kliniken, sieben Pflegeeinrichtungen und zehn Medizinische Versorgungszentren. MEDICLIN verfügt über rund 8.350 Betten/ Pflegeplätze und beschäftigt rund 10.200 Mitarbeiter*innen.
In einem starken Netzwerk bietet MEDICLIN den Patient*innen die integrative Versorgung vom ersten Arztbesuch über die Operation und die anschließende Rehabilitation bis hin zur ambulanten Nachsorge. Ärzt*innen, Therapeut*innen und Pflegekräfte arbeiten dabei sorgfältig abgestimmt zusammen. Die Pflege und Betreuung pflegebedürftiger Menschen gestaltet MEDICLIN nach deren individuellen Bedürfnissen und persönlichem Bedarf.
MEDICLIN – ein Unternehmen der Asklepios-Gruppe.

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