„Tiergestützte Therapie wirkt wie ein Türöffner“

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Interview mit Matthias Holzapfel

Donaueschingen, 30. Juli 2019. Matthias Holzapfel, Leitender Psychologe am MEDICLIN Zentrum für Psychische Gesundheit, schwört auf tiergestützte Therapie gegen psychosomatische Beschwerden. Seit Juni 2019 helfen die vier Lamas Emil, Alois, Fridolin und Karl am Zentrum für Psychische Gesundheit wie auch an der MEDICLIN Klinik am Vogelsang bei der Behandlung von Patienten mit. Warum Lamas dafür besonders gut geeignet sind und wie eine solche Therapiestunde aussieht, erzählt Holzapfel im Interview.

Herr Holzapfel, bei welchen Beschwerden ist die tiergestützte Therapie sinnvoll und warum?
Man kann es eher andersherum sagen: Es gibt kaum Patienten, für die die tiergestützte Therapie nicht in Frage kommt. Was die Krankheitsbilder angeht, haben wir tatsächlich mit jedweder Diagnose positive Erfahrungen sammeln können. Fast jeder psychosomatische Patient kann teilnehmen. Die wichtigste Voraussetzung ist Freiwilligkeit. Manche Patienten haben Berührungsängste. Das respektieren wir natürlich.

Wie oft kommt es vor, dass Patienten nicht an der tiergestützten Therapie teilnehmen möchten?
Das ist sehr selten. Wenn Patienten Berührungsängste haben oder sich ekeln – etwa vor Tieren oder ihren Haaren –, versuchen wir, sie zu ermutigen. Wenn wir dann merken, dass es einen Widerstand gibt, der nicht aufzulösen ist, dann berücksichtigen wir das. Dabei handelt es sich aber um eine absolute Minderheit.

Welche Tiere sind in Donaueschingen im Einsatz?
Wir arbeiten mit vier Lamas. Dafür kooperieren wir mit den Geländespielern (www.gelaendespieler.de), einer Freizeitfirma aus Bräunlingen, der die Lamas gehören. Die Tiere sind von Montag bis Donnerstag bei uns an der Klinik, am Wochenende gehen sie bei den Geländespielern auf Lama-Touren.

Wie sieht eine Therapiestunde mit Lamas aus?
Es gibt zwei Kategorien: Einerseits die Versorgung der Tiere, die immer morgens stattfindet und etwa eine Stunde dauert. Eine kleine Gruppe von maximal sechs Patienten füttert die Lamas, gibt ihnen frisches Wasser und kontrolliert die Zäune. Das fällt bei uns in den Bereich der Ergotherapie, entsprechend stehen Aspekte wie Verantwortung und Beschäftigung im Vordergrund.

Dann gibt es die Lama-Wanderungen, die nachmittags in größeren Gruppen – mit acht bis zehn Patienten – stattfinden. Dabei gehen wir etwa zwei Stunden durch den Wald, die Patienten führen die Tiere abwechselnd. Hier steht etwas anderes im Fokus als bei der morgendlichen Versorgung: Es geht vor allem um die Kontaktaufnahme. Patienten, die sehr in sich gefangen oder eingeschüchtert sind, die mit anderen Menschen nur schwer in Kontakt kommen, weil sie Ängste haben oder schlechte Erfahrungen gemacht haben, kommen durch den Kontakt zum Tier oft aus sich heraus. Da ist die Eigenheit der Lamas vorteilhaft: Man kann sie nicht mit Dominanz führen, sondern braucht Fingerspitzengefühl. Die Patienten müssen sich auf das Tier einstimmen, um ihm zu zeigen, in welche Richtung es geht. Wenn man dabei zu viel Dominanz an den Tag legt, streikt das Lama. Es legt sich zum Beispiel einfach auf den Boden und macht gar nichts mehr. Für die tiergestützte Therapie ist das sehr günstig, weil Patienten in einen aktiven Austausch mit dem Tier gehen müssen.

Auch die Regulierung von Nähe und Distanz ist ein wichtiges Thema. Viele Patienten, die zum ersten Mal zu den Lamas kommen, finden die Tiere niedlich und wollen sie am liebsten umarmen. Aber Lamas sind keine Kuscheltiere. Sie dulden es nicht, wenn man einfach auf sie zugeht und sie streichelt. Dieses Verhältnis muss man sich erst erarbeiten. Es ist durchaus möglich, dass sich bei einer zweistündigen Tour ein guter Kontakt entwickelt, sodass man das Lama dann anfassen kann.

Diese Faktoren halte ich für ein besonderes Plus der Lamas, weil Patienten dabei wichtige Dinge üben und später reflektieren können, um sie auf das eigene Leben zu übertragen. Damit das funktioniert, sprechen wir vorher und nachher mit den Patienten über Erwartungen, Ziele und Ängste beziehungsweise ihre Erfahrungen. Dadurch bringen wir ihnen auch die Wirkmechanismen der tiergestützten Therapie nahe, die mittlerweile wissenschaftlich belegt sind.

Welche Therapieerfolge stellen Sie bei Patienten fest?
Wir beobachten, dass viele Patienten durch den Umgang mit den Tieren deutlich gelöster werden. Verkrampfte, angespannte, verschüchterte Personen, die mit anderen Menschen oft gar nicht mehr sprechen können, fangen an, mit den Lamas zu sprechen. Wir hatten Patienten, deren Einzelgespräche mit dem Therapeuten sehr zäh waren, weil sie keinen Satz hervorbrachten. Wenn man mit ihnen zum Tier geht, werden sie gesprächig. Dieser Effekt lässt sich im Anschluss auf das Gespräch mit Menschen übertragen. Tiergestützte Therapie wirkt da wie ein Türöffner.

Außerdem kann eine natürliche Beziehung zu einem Tier in Menschen einen sehr hilfreichen Prozess anstoßen, falls diese Art von Beziehung im Alltag verloren gegangen ist – zum Beispiel durch das Leben in der Großstadt oder durch Arbeitsbedingungen, die eine Entfremdung des Menschen von seiner Umwelt begünstigen.

Diese Form der Therapie kann das Bedürfnis anregen, sich mit der Natur – und vielleicht sogar der Welt – wieder verbundener zu fühlen. Das ist ein Effekt, den wir oft beobachten. Die Patienten, die vielleicht ein Sinnlosigkeitsgefühl empfunden haben, finden durch eine grundlegende Erfahrung von etwas sehr Natürlichem wieder eine Verankerung.

Darüber hinaus gibt es Effekte, die man vielleicht nicht mit bloßem Auge sehen kann, die aber inzwischen wissenschaftlich gemessen werden können, zum Beispiel positive Einflüsse auf Parameter wie Puls, Blutdruck oder das Stresshormon Cortisol – eine Wirkung, die man sonst eher von Medikamenten erwartet.

Spielen Sie mit dem Gedanken, weitere Tierarten einzubringen?
Erst einmal bleibt es bei den vier Lamas. Wir haben zwar ein paar Hirngespinste, die gehen aber eher in die Richtung, ob wir uns ein fünftes oder sechstes Lama zulegen, weil die Nachfrage der Patienten so groß ist. Die Therapie ist sehr beliebt.

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Das Interview führte Silke Stadler. 

Pressekontakt: 
Ulrike Hettich-Wittmann
Marketing
MEDICLIN Klinik am Vogelsang
E-Mail: ulrike.hettich-wittmann@mediclin.de
Tel.: 0771 / 851-0

Über die MEDICLIN Klinik am Vogelsang
Die MEDICLIN Klinik am Vogelsang in Donaueschingen ist eine Fachklinik für Psychosomatik und Verhaltensmedizin. Die Schwerpunkte der Einrichtung liegen in der Behandlung von Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen, funktionellen Störungen, Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen, nichtorganischen Schlafstörungen sowie Anpassungsstörungen im beruflichen und sozialen Bereich. Ein besonderer Schwerpunkt der Klinik ist die transkulturelle psychosomatische Rehabilitationsbehandlung in der Muttersprache der Patienten, in der kulturspezifische Aspekte von Krankheitsverständnis und Krankheitsverarbeitung Berücksichtigung finden. Die Klinik verfügt über 95 Betten und beschäftigt rund 70 Mitarbeiter.
Am MEDICLIN-Standort Donaueschingen befindet sich neben der Klinik am Vogelsang auch die MEDICLIN Seniorenresidenz Am Baar-Zentrum sowie das MEDICLIN Zentrum für Psychische Gesundheit Donaueschingen. 

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Über das MEDICLIN Zentrum für Psychische Gesundheit Donaueschingen
Das Zentrum für Psychische Gesundheit Donaueschingen ist eine private Akutklinik für Psychosomatik, Psychiatrie und Psychotherapie. Die stationäre Aufnahme von gesetzlich versicherten Patienten ist nach Einzelfallbewilligung der jeweiligen Krankenkasse möglich. Eine Besonderheit der Akutklinik ist ein durchgängig installiertes sogenanntes „circadianes Lichtsystem“. Dieses unterstützt den Biorhythmus, welcher bei Menschen mit psychischen Erkrankungen häufig gestört ist.

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Über MEDICLIN
Zu MEDICLIN gehören deutschlandweit 36 Kliniken, sieben Pflegeeinrichtungen, zwei ambulante Pflegedienste und zehn Medizinische Versorgungszentren. MEDICLIN verfügt über knapp 8.300 Betten und beschäftigt rund 10.000 Mitarbeiter.
In einem starken Netzwerk bietet MEDICLIN dem Patienten die integrative Versorgung vom ersten Arztbesuch über die Operation und die anschließende Rehabilitation bis hin zur ambulanten Nachsorge. Ärzte, Therapeuten und Pflegekräfte arbeiten dabei sorgfältig abgestimmt zusammen. Die Pflege und Betreuung pflegebedürftiger Menschen gestaltet MEDICLIN nach deren individuellen Bedürfnissen und persönlichem Bedarf – zu Hause oder in der Pflegeeinrichtung.
MEDICLIN – ein Unternehmen der Asklepios-Gruppe.

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