Litauens Energiewende: ”Weltrekord bei der Umstellung von Gas zu erneuerbaren Energiequellen”

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Während die Regierungen anderer EU-Staaten noch darüber streiten, ob sie neue Pipelines brauchen oder den Gashahn abdrehen wollen, hat Litauen seine Wärmeversorgung im Rekordtempo umgestellt, um heimische Biomasse nutzen zu können und die Ära der Energieabhängigkeit von Russland hinter sich zu lassen. Jetzt rüstet das Land seine Netze auf und bereitet den nächsten Schritt mit Sonnenenergie und Wärmepumpen vor.

In Stelmuze dreht sich alles um Holz. Das kleine Dorf in den Wäldern im Nordosten Litauens ist bekannt für seine Holzkapelle, die ohne Sägen und Eisennägel gebaut wurde. Und für die berühmte Stelmuze-Eiche – Europas älteste, 23 Meter hoch und mehr als 1500 Jahre alt. Um ihren Stamm zu umarmen, müssen sich nicht weniger als 9 Personen an den Händen halten.

Die alten und ausgedehnten litauischen Wälder sind auch der Schauplatz einer der schnellsten und umfangreichsten Energieumstellungen Europas von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien. Die Geschichte der litauischen Energiewende ist eine dramatische Verdichtung internationaler Politik, Klimaschutz und technologischen Fortschritts.

Schnellste und umfangreichste Energiewende in Europa

Als Litauen 1990 seine Unabhängigkeit von Russland wiedererlangte und 2004 der Europäischen Union beitrat, musste sich das Land auch von seiner Energieabhängigkeit lösen. Die Sowjetunion hat Litauen nicht nur das monumentale Atomkraftwerk Ignalina vom Typ Tjernobyl hinterlassen - wie die meisten osteuropäischen Länder wurde auch Litauens hochentwickeltes Fernwärmenetz fast ausschließlich mit russischem Erdgas oder schwerem Heizöl befeuert.

"Im Jahr 2013 produzierten wir noch den größten Teil unserer Fernwärme mit aus Russland importiertem Erdgas", erklärt der Direktor des Litauischen Energieinstituts, Dr. Sigitas Rimkevičius. "Seitdem haben wir in rasantem Tempo und großem Umfang von Gas zu erneuerbaren Energiequellen umgestellt." Tatsächlich war der Anteil der erneuerbaren Energien nur drei Jahre später auf fast 70 % angewachsen, was ihn zu einem der höchsten Anteile erneuerbarer Energien in Europa macht. "Wir nennen das Weltrekord", ergänzt Rimkevičius.

Rekordanteil an erneuerbarer Wärme

Während das Konzept der Fernwärme in einigen westeuropäischen Ländern wie Großbritannien mit einem bescheidenen Anteil von 2 % kaum bekannt ist, haben buchstäblich alle litauischen Städte ein Wärmenetz. "Mehr als die Hälfte der litauischen Haushalte sind an Fernwärme angeschlossen", erklärt Rimkevičius.  "Und die Zahlen steigen sogar noch an."

Das einzigartige Tempo der litauischen Energiewende wird noch deutlicher, wenn man sie mit der größten und stärksten Volkswirtschaft der EU vergleicht. Während Deutschland plant, noch mehr Erdgas aus Russland über die weltberühmte, im Bau befindliche Nord-Stream-Pipeline zu importieren, hat Litauen die Unterstützung aus den EU-Strukturfonds genutzt, um stattdessen den Gashahn abzudrehen.

"Die litauischen Wälder sind nicht nur groß", sagt Dr. Valdas Lukoševičius, Präsident des litauischen Fernwärmeverbands. "Sie gehören auch zu den am besten für die Holzproduktion geeigneten der Welt. Überschüssige Biomasse aus der Holzindustrie nutzen zu können, ist also nicht nur günstiger und klimafreundlich, sondern auch ein Akt der nationalen Befreiung!"

Energie bezahlbar zu halten, ist eine der wichtigsten Herausforderungen für die Energiewende weltweit. Litauen hat sich als Vorbild erwiesen, da die Preise seit 2011 sogar gesunken sind - vor allem dank der lokalen Biomasse und des technologischen Fortschritts. Tatsächlich entspricht der durchschnittliche Preis für lokale Biomasse, die für Fernwärme genutzt wird, etwa einem Drittel des Erdgaspreises.

Nächste Herausforderung: Jenseits von Biomasse

Doch trotz dieser großen Erfolge ist die schnelle Transformation des litauischen Fernwärmesektors noch lange nicht abgeschlossen. "Wir sehen neue Herausforderungen auf uns zukommen, da Biomasse zunehmend auf ihre tatsächlichen Klimaauswirkungen hin untersucht wird. Und obwohl die in unseren Netzen verwendete Biomasse ein nachhaltig gewonnenes Nebenprodukt der Holzindustrie ist, entsteht durch den globalen Wettbewerb ein immer größerer Druck, so dass sie zu einem knapperen Rohstoff wird", sagt Lukoševičius.

Deshalb beschäftigt sich das Land bereits mit der nächsten Phase der Umstellung. In den kommenden Monaten werden effizientere KWK-Anlagen, die Wärme- und Stromerzeugung kombinieren, ans Netz gehen und einfache Biomassekessel ersetzen. Lukoševičius fügt hinzu: "Und, was noch wichtiger ist, wir erforschen bereits Lösungen jenseits von Biomasse."

Litauische Winter sind kalt. Daher wird die Deckung des hohen Wärmebedarfs mit anderen erneuerbaren Energiequellen unmöglich sein. Lukoševičius: "Aber die Nutzung von Solarenergie anstelle von Biomasse für die Warmwassererzeugung in den Sommermonaten ist eine erste Möglichkeit, die wir jetzt prüfen. Es ist allerdings keine einfache Umstellung. Eine wichtige Voraussetzung für den schrittweisen Einsatz von Sonnenenergie ist die Senkung der Betriebstemperatur im Netz auf 60 °C. Das wiederum erfordert eine Reduzierung der Wärmeverluste sowohl im Gebäudebestand als auch im Netz."

Von Šalčininkai zum Rest der Welt

Mit seinen fast 7000 Einwohnern ist Šalčininkai eine kleine Stadt in einem kleinen Land. Sie ist auch eine der jüngsten Städte Litauens, die 1972 als Zentrum des umliegenden Bezirks gegründet wurde. Nicht nur der großzügige Grundriss von Šalčininkai mit dem weitläufigen und genau berechneten Raster zeigt sein sowjetisches Erbe. Schulen und Wohnheime, eine neue Gärtnerei, ein Kino und ein Gebäude der Stadtverwaltung zeigen die feinen Details und klaren Linien, die für die Architektur und den Städtebau der späten Sowjetunion emblematisch sind.

Doch das mehr als 30 Jahre alte Fernwärmenetz in Šalčininkai bekommt auch alle Nachteile dieses Erbes zu spüren: nämlich erhebliche Wärmeverluste durch den schlecht isolierten Gebäudebestand und überdimensionierte Wärmeerzeugungs- und -übertragungsanlagen. Lukoševičius: "In litauischen Gebäuden ist der Wärmeverbrauch doppelt so hoch wie in westeuropäischen Ländern."

Šalčininkai wurde deshalb als Pilotprojekt im Rahmen des Projekts "Upgrade DH" ausgewählt, das vom Forschungs- und Innovationsprogramm ”Horizon 2020” der Europäischen Union gefördert wird. Sowohl das Fernwärmeunternehmen von Šalčininkai als auch der litauische Fernwärmeverband sind Partner. Die Erkenntnisse und Lehren aus der Kleinstadt im Südosten Litauens sollen ganz Europa zugute kommen.

"In Šalčininkai ersetzen wir die alten sowjetischen Stahlrohre durch vorgedämmte Rohre mit deutlich besserer Isolierung. Teilweise werden wir sogar flexible vorgedämmte Kunststoffrohre verwenden, die trotz begrenzter Betriebstemperaturen aufgrund ihrer verbesserten Fließeigenschaften immer beliebter werden. Sie sind einfach zu installieren und reduzieren die Wärmeverluste auf ein Minimum", sagt Artur Danulevič, CEO des Fernwärmeunternehmens Salcininkai. Ein Netzoptimierungsplan wird die Wärmeverluste weiter verringern - und Litauen näher an eine Zukunft bringen, in der Wärme durch noch intelligentere erneuerbare Technologien erzeugt wird, einschließlich Solarthermie und Wärmepumpen.

Solar und Wärmepumpen ersetzen Biomasse

Für die nahe Zukunft wird die gesamte staatliche Unterstützung Litauens für Biomasse gestrichen. Neue Subventionen für intelligente Lösungen in Kombination mit Solar und Wärmepumpen sind in Vorbereitung. "Wir brauchen jede Unterstützung, die wir für die Transformation bekommen können,” sagt Dr. Valdas Lukoševičius: ”Unsere Regierung in Vilnius ist bereit, aber die EU muss grünes Licht geben. Dann kann die Rekordjagd der litauischen Energiewende weitergehen."
 The Upgrade DH project has received funding from the European Union’s Horizon 2020 research and innovation programme under grant agreement No 785014.

Litauen ist Gastgeber des 21. Internationalen Fernwärmekongresses vom 3. bis 5. Mai https://www.ehpcongress.org 

The Upgrade DH project has received funding from the European Union’s Horizon 2020 research and innovation programme under grant agreement No 785014.

Dr. Valdas Lukoševičius

President Lithuanian District Heating Association (LDHA)

Email: valdas.lukosevicius@lsta.lt

Phone +370-654-58905

Niels Reise

Communication Works

Email: niels@communicationworks.eu

Phone +46 76 134 71 79

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Überschüssige Biomasse aus der Holzindustrie nutzen zu können, ist also nicht nur günstiger und klimafreundlich, sondern auch ein Akt der nationalen Befreiung!
Dr. Sigitas Rimkevičius, Direktor des Litauischen Energieinstituts
"Im Jahr 2013 produzierten wir noch den größten Teil unserer Fernwärme mit aus Russland importiertem Erdgas. Seitdem haben wir in rasantem Tempo und großem Umfang von Gas zu erneuerbaren Energiequellen umgestellt."
Dr. Sigitas Rimkevičius, Direktor des Litauischen Energieinstituts
Wir sehen neue Herausforderungen auf uns zukommen, da Biomasse zunehmend auf ihre tatsächlichen Klimaauswirkungen hin untersucht wird. Und obwohl die in unseren Netzen verwendete Biomasse ein nachhaltig gewonnenes Nebenprodukt der Holzindustrie ist, entsteht durch den globalen Wettbewerb ein immer größerer Druck, so dass sie zu einem knapperen Rohstoff wird.
Dr. Valdas Lukoševičius, Präsident des litauischen Fernwärmeverbands