"Applaus macht noch keine zukunftsfähige Landwirtschaft"

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Bohlsener Mühle berechnet mit der Regionalwert-Leistungsrechnung den Wert der Nachhaltigkeitsleistungen in der Landwirtschaft // Innovatives Gegenmodell zu True Cost // Fallbeispiel Bio-Betrieb Ritzleben in Sachsen-Anhalt

Bohlsen, 4. Juli 2023 – Damit die Landwirtschaft eine Zukunft hat, muss sie nachhaltiger wirtschaften. So fordert der GAP-Strategieplan der Bundesrepublik eine Transformation hin zu einem nachhaltigen und resilienten Agrar- und Ernährungssystem. Doch wie kann dieser Schritt gelingen, wenn die vielfältigen Nachhaltigkeitsleistungen von Landwirtinnen und Landwirten von wenigen zwar ideell geschätzt werden, aber die monetäre Vergütung weitgehend aus bleibt?

Der Bio-Getreide- und Hülsenfrüchteverarbeiter Bohlsener Mühle setzt sich gemeinsam mit der Regionalwert Leistungen GmbH und dem Bio-Großhändler BODAN dafür ein, dass diese unbezahlte Mehrarbeit in Zukunft einen Wert bekommt. Mit der sogenannten Regionalwert-Leistungsrechnung, können die sozialen, ökologischen und regionalökonomischen Gemeinwohlleistungen ihrer Bio-Landwirtinnen und -Landwirte abgebildet und konkret in Zahlen ausgedrückt werden. Ziel ist es, mit diesen Kennzahlen eine fundierte Grundlage für eine gerechtere Entlohnung bei gleichzeitiger Etablierung nachhaltiger Praktiken in der Landwirtschaft zu schaffen. Der Bio-Betrieb Ritzleben in Sachsen-Anhalt ist ein Beispiel, das zeigt, wie durch die zahlenbasierte Analyse Verbesserungen in der Landwirtschaft möglich sind.

Die Landwirtschaft gegen Krisen widerstandsfähiger machen und weniger Schäden an den natürlichen Grundlagen verursachen – auf diese Ziele arbeiten ökologisch wirtschaftende Landwirtschaftsbetriebe hin. Sie erhalten mit ihren Anstrengungen Gemeinschaftsgüter, wie zum Beispiel Bodenfruchtbarkeit, saubere Gewässer und Biodiversität. Darüber hinaus erbringen sie soziale Leistungen, z.B. in den Bereichen nachhaltige Bildung und kulturelles Engagement. Die meiste Arbeit davon ist für die Gesellschaft nicht greifbar, weil sie keinen monetären Ausdruck findet. „Auf politischer Ebene ist das Thema Umsteuerung und wahre Preise jedoch sehr aktuell. Ziel ist es, dass die finanziellen Mittel an die richtige Stelle gehen, um die notwendige Transformation schnellstmöglich zu erreichen – beim Produktkauf ebenso wie bei Förderungen“, betont Geschäftsführer der Bohlsener Mühle, Mathias Kollmann.

Die Bohlsener Mühle, Vorreiter der Biobranche, macht sich dafür stark, diese sozialen, ökologischen und regionalökonomischen Gemeinwohlleistungen der Bio-Landwirtinnen und -Landwirte sichtbar zu machen. „Applaus macht noch keine zukunftsfähige Landwirtschaft. Applaus bedeutet, die Gesellschaft schätzt es zwar ideell wert, dass die Landwirtinnen und Landwirte z.B. unser Trinkwasser reinhalten, klimaschonend arbeiten und die Biodiversität erhalten; aber bereit sie dafür finanziell zu belohnen ist sie grundsätzlich nicht – weder über den Produktpreis, noch werden die Subventionen radikal an Zukunftsleistungen gekoppelt. Deshalb bezahlen wir als Bohlsener Mühle unseren Partnerinnen und Partnern möglichst faire und langfristige Preise für eine hohe Qualität unserer Produkte und setzen uns außerdem dafür ein, dass die nachhaltigen Bemühungen in der Landwirtschaft endlich finanziell honoriert werden können“, erläutert Philip Luthardt, Leitung Nachhaltigkeit bei der Bohlsener Mühle.

Die Regionalwert-Leistungsrechnung ist ein innovativer Ansatz, um ein Umdenken in Gang zu bringen. Sie nimmt eine Bewertung auf der Basis von 300 Leistungskennzahlen aus den Dimensionen Ökologie, Soziales und Regionalökonomie vor. Ein Ansatz, der die Bohlsener Mühle überzeugt: „Die Regionalwert-Leistungsrechnung ist die erste leistungsbezogene Nachweismethode für nachhaltiges Wirtschaften in der Landwirtschaft. Mit ihr ist eine Bewertung der Nachhaltigkeitsleistungen von hoher Komplexität und unter Berücksichtigung vielschichtiger Wechselwirkungen möglich und sie motiviert Landwirtinnen und Landwirte. Denn die detaillierte Auskunft ihrer Leistungen ermöglicht auch zu erkennen, welche Entwicklungspotentiale noch vorhanden sind. Und manchmal sind es nur kleine Hebel, die Großes bewirken“, erläutert Christian Hiß, Gründer der Regionalwert Leistungen GmbH.


Zwei Lösungsansätze für eine zukunftsfährige Landwirtschaft:

True Welfare (Schadensvermeidung) vs. True Cost (Schadensbehebung)
Die Bohlsener Mühle schätzt an dem Ansatz der Regionalwert-Leistungsrechnung, dass der Fokus auf den positiven, die Nachhaltigkeit stärkenden Maßnahmen liegt und diese mit einem Geldwert hinterlegt werden. Die Berechnung macht die Leistung der Landwirtinnen und Landwirte sichtbar und ermöglicht so mehr Wertschätzung und eine kontinuierliche Verbesserung. Und sie ist, wie von der Bohlsener Mühle gefordert, ein Instrument, wie Fördergelder im Sinne der Nachhaltigkeit, des Klimaschutzes, der Biodiversität eingesetzt werden müssen. „Dies ist der große Unterschied dieses sogenannten True Welfare-Ansatzes zum viel diskutierten True Cost Accounting Modell, das die Schäden, bzw. deren Behebung berechnet, die durch gängige landwirtschaftliche Praktiken erzeugt werden, mit dem Ziel, diese auf den Verbraucherpreisen abzubilden – Stichwort 'wahre Preise'. Am Ende des Tages ist die Schadensvermeidung sowohl nachhaltiger, als auch günstiger als die Schadensbehebung“, beschreibt Philip Luthardt.

Gemeinwohlleistungen der Bio-Landwirtschaft – ein Fallbeispiel
Laura Kulow betreibt einen 500 ha großen landwirtschaftlichen Bio-Betrieb in Sachsen-Anhalt und liefert Bio-Getreide zur Weiterverarbeitung an die Bohlsener Mühle. Ihr Biohof Ritzleben wurde im Juni 2023 mit dem Bundespreis 'Ökologischer Landbau 2023'  des Bundeslandwirtschaftsministeriums ausgezeichnet. Kulow ist eine von zehn Landwirtinnen und Landwirten, die die Regionalwert-Leistungsrechnung gemeinsam mit der Bohlsener Mühle durchgeführt hat. Ihr Ergebnis* kann sich sehen lassen: 81 % Nachhaltigkeitsgrad wurden für den Bio-Hof errechnet. In Geldwert ausgedrückt bedeutet es, dass der Betrieb pro Jahr 267.818 Euro an Nachhaltigkeitsleistungen erbringt, die nicht vergütet werden. Die Leistungsrechnung zeigt zudem, in welchen Bereichen es noch Verbesserungspotenzial gibt: „Die Ergebnisse der Regionalwert-Leistungsrechnung sind eine ideale Grundlage für Argumentationen, sowie eine Basis, um sich selbst einordnen zu können, wo man bei den einzelnen Punkten steht“, freut sich die Bio-Landwirtin Laura Kulow.

Im Detailergebnis wurde mit 89 % Nachhaltigkeitsgrad ihr großer Beitrag zum Erhalt der Biodiversität deutlich. Der Großteil der landwirtschaftlichen Fläche wird gar nicht mit Pflanzenschutzmittel behandelt und der Rest ohne synthetische Mittel, wodurch auch das Grundwasser geschont wird. Die Winterbegrünung, eine vielgliedrige Fruchtfolge sowie der Einsatz von Nützlingen spart zusätzlich Pflanzenschutzmittel ein. Hingegen  war bei den Detailergebnissen im Bereich „Schaffung von Lebensräumen“ mit nur 21 % noch Luft nach oben. Hieraus ist eine konkrete Idee entstanden. Laura Kulow plant zur Weiterentwicklung ihrer landwirtschaftlichen Flächen die Neuanlage eines Agroforsts: „Agroforst schafft Rückzugsorte für Tiere und Insekten, erhöht die Wasserhaltefähigkeit und den Wind- und Erosionsschutz, und mit etwas Glück hat er dann sogar eine Biotop-Wirkung, sodass sich der Ertrag auf den angrenzenden Flächen erhöht."

Im ersten Projektjahr wurden die Ergebnisse bei Online-Veranstaltungen mit den teilnehmenden Landwirtinnen und Landwirten präsentiert und erste Ansätze zur Nutzung der Regionalwert-Daten für einen fachlichen Austausch diskutiert. Anfang des Jahres 2024 wird die Regionalwert-Leistungsrechnung bei den teilnehmenden Landwirtinnen und Landwirten wiederholt. So sollen Weiterentwicklungen auf den Höfen sichtbar gemacht werden.

Miteinander mehr erreichen: Gemeinschaftsprojekt mit anderen Bio-Unternehmen
Neben der Bohlsener Mühle haben weitere Bio-Unternehmen das Ziel, die Mehrleistungen für Umwelt und Gemeinwohl von Bio-Landwirtinnen und -Landwirten sichtbar zu machen. Einen wichtigen Impuls zur Realisierung einer breit angelegten Erhebung hat BODAN gesetzt. Der Öko-Großhändler hat 100 Lizenzen für die Regionalwert-Leistungsrechner-Software erworben, um sie Anbaubetrieben aus seiner Lieferkette direkt oder über Hersteller-Partner zur Verfügung zu stellen. Insgesamt haben so mit Höfen aus dem Netzwerk 'WIR. Bio Power Bodensee' und Anbau-Partnern der Bio-Hersteller Bohlsener Mühle, Neumarkter Lammsbräu, Huober und Barnhouse bis heute mehr als 80 Bio-Betriebe für mindestens ein Geschäftsjahr die Regionalwert-Leistungsrechnung durchgeführt. Weitere Betriebe stehen schon in den Startlöchern.

Auf welche Weise die berechneten, bisher nicht vergoltenen Leistungen der Landwirte künftig honoriert werden, darüber muss es einen gesellschaftlichen und politischen Diskurs geben. Eine Möglichkeit wäre, die so ermittelten Mehrleistungen über eine neue Verteilung der Agrarsubventionen zu honorieren. Die Bohlsener Mühle selbst arbeitet bereits daran, die gewonnenen Erkenntnisse langfristig in ihre Vertragsgestaltung einfließen zu lassen.

*Auswertung Regionalwert-Leistungsrechnung Laura Kulow Biohof Ritzleben in den Grafiken anbei

Pressekontakt:
Bohlsener Mühle GmbH & Co. KG
Barbara Vieths (Referentin Kommunikation), +49 (0) 58 08 / 9 87 – 776;  b.vieths@bohlsener-muehle.de

unterstützt durch modem conclusa gmbh
Manuela Jagdhuber, +49 (0) 174-57 58 73 0, jagdhuber@modemconclusa.de
 

Die Bohlsener Mühle zählt zu den Pionieren der Biobranche. Mit der Übernahme der elterlichen Getreidemühle durch Volker Krause 1979 – dem Mühlensterben zum Trotz – folgte die Umstellung auf 100 Prozent Bio. Was ihn schon damals antrieb, ist seither spürbarer Bestandteil der Unternehmensphilosophie: Die Achtung gegenüber der 700 Jahre alten Mühlengeschichte, die Verbundenheit zum eigenen Zuhause und zur Region sowie die Überzeugung, durch nachhaltiges, zukunftsfähiges Wirtschaften Verantwortung zu übernehmen und Wertvolles zu schaffen. Die knapp 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des mittelständischen Unternehmens arbeiten in der Wassermühle, der handwerklichen Frischebäckerei, in der Produktion der Müslis, Snäckebrote, Kekse und Fertiggerichte sowie der Verwaltung. Gemeinsam für mehr Vielfalt auf dem Acker und auf dem Teller. Das umfassende Bio-Produktsortiment der Bohlsener Mühle ist im Naturkostfachhandel, im gut sortierten Lebensmitteleinzelhandel sowie im eigenen Webshop erhältlich.

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Auf politischer Ebene ist das Thema Umsteuerung und wahre Preise jedoch sehr aktuell. Ziel ist es, dass die finanziellen Mittel an die richtige Stelle gehen, um die notwendige Transformation schnellstmöglich zu erreichen – beim Produktkauf ebenso wie bei Förderungen.
Geschäftsführer der Bohlsener Mühle, Mathias Kollmann
Applaus macht noch keine zukunftsfähige Landwirtschaft. Applaus bedeutet, die Gesellschaft schätzt es zwar ideell wert, dass die Landwirtinnen und Landwirte z.B. unser Trinkwasser reinhalten, klimaschonend arbeiten und die Biodiversität erhalten; aber bereit sie dafür finanziell zu belohnen ist sie grundsätzlich nicht – weder über den Produktpreis, noch werden die Subventionen radikal an Zukunftsleistungen gekoppelt. Deshalb bezahlen wir als Bohlsener Mühle unseren Partnerinnen und Partnern möglichst faire und langfristige Preise für eine hohe Qualität unserer Produkte und setzen uns außerdem dafür ein, dass die nachhaltigen Bemühungen in der Landwirtschaft endlich finanziell honoriert werden können.
Philip Luthardt, Leitung Nachhaltigkeit bei der Bohlsener Mühle
Die Regionalwert-Leistungsrechnung ist die erste leistungsbezogene Nachweismethode für nachhaltiges Wirtschaften in der Landwirtschaft. Mit ihr ist eine Bewertung der Nachhaltigkeitsleistungen von hoher Komplexität und unter Berücksichtigung vielschichtiger Wechselwirkungen möglich und sie motiviert Landwirtinnen und Landwirte. Denn die detaillierte Auskunft ihrer Leistungen ermöglicht auch zu erkennen, welche Entwicklungspotentiale noch vorhanden sind. Und manchmal sind es nur kleine Hebel, die Großes bewirken.
Christian Hiß, Gründer der Regionalwert Leistungen GmbH
Dies ist der große Unterschied dieses sogenannten True Welfare-Ansatzes zum viel diskutierten True Cost Accounting Modell, das die Schäden, bzw. deren Behebung berechnet, die durch gängige landwirtschaftliche Praktiken erzeugt werden, mit dem Ziel, diese auf den Verbraucherpreisen abzubilden – Stichwort 'wahre Preise'. Am Ende des Tages ist die Schadensvermeidung sowohl nachhaltiger, als auch günstiger als die Schadensbehebung.
Philip Luthardt, Leitung Nachhaltigkeit bei der Bohlsener Mühle
Die Ergebnisse der Regionalwert-Leistungsrechnung sind eine ideale Grundlage für Argumentationen, sowie eine Basis, um sich selbst einordnen zu können, wo man bei den einzelnen Punkten steht.
Laura Kulow, Bio-Landwirtin
Agroforst schafft Rückzugsorte für Tiere und Insekten, erhöht die Wasserhaltefähigkeit und den Wind- und Erosionsschutz, und mit etwas Glück hat er dann sogar eine Biotop-Wirkung, sodass sich der Ertrag auf den angrenzenden Flächen erhöht.
Laura Kulow, Bio-Landwirtin